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Lösungsorientiere Team-Skulpturen
Was Manager von Familienaufstellungen lernen können

Konflikte lösen, Krisen vorbeugen, Entscheidungen unterstützen – Aufstellungen werden vielfach eingesetzt, um die Zusammenarbeit von Teams zu verbessern. Ihr Vorteil ist, innerhalb kürzester Zeit unterschiedliche Lösungen erarbeiten, betrachten und deren Akzeptanz testen zu können – und sie ebenso spielerisch wie fokussiert zu optimieren, bis sie als gemeinsam tragfähig erscheinen. Ein Prozess, der mediative Qualitäten hat und ein hohes Maß an Agilität aufweist. Es geht darum, zu begreifen, was am besten wirkt. Dabei lohnt es sich, von Familienaufstellungen zu lernen. In deren Kontext entstand ein reichhaltiges methodisches Repertoire, das sich auf Aspekte der Teamkooperation und Lösung von betrieblichen Konflikten übertragen lässt.
Von Raimund Schwendner
Hannah F. liebt ihre Kinder. Und sie achtet, wie sie sagt, auf deren Gesundheit. Deshalb kommt es immer wieder zu Reibereien mit ihren Schwiegereltern. Hannah und ihr Mann sind berufstätig, und die Kinder sind gern bei Opa und Oma. Ein Segen, meint die Mutter, aber auch ein Treiber für familiäre Spannungen. Denn dort bekämen ihre Kinder „kiloweise Schokolade“ zu essen, und die meiste Zeit, oft stundenlang, säßen sie vor dem Fernseher. Das missfällt ihr, überdies sieht sich ihr Mann zwischen allen Stühlen und reagiert genervt. Eine Zwickmühle, denn am Nachmittag gibt es keine Betreuung für die Grundschüler, und den Verdienstausfall oder eine zusätzliche Kraft können die jungen Eltern sich nicht leisten. Den Ausweg suchen sie in einer gemeinsamen Mediation mit den Großeltern, die mit einer Aufstellung der familiären Situation beginnt. Darin soll im ersten Schritt das Dilemma aus Sicht der verschiedenen Beteiligten zum Ausdruck gebracht werden, im zweiten Schritt sollen Lösungsoptionen erarbeitet, „experimentell aufgestellt“ und durchgespielt werden.
Dynamik spürbar machen
Diese Erfahrung erweist sich für Hannahs Mann in doppelter Hinsicht als spannend. Denn in der Familienaufstellung lernt er auf eine neue Weise ein Verfahren kennen, das ihm von der Teamentwicklung im Betrieb bereits geläufig ist. Dort sollen zwei Teams, die bislang rivalisiert haben, im Rahmen eines gemeinsamen Projekts zusammengeführt und in ihrer Kooperationsfähigkeit gestärkt werden. Dazu dient die Arbeit mit „sozialen Skulpturen“. Die Mitglieder der Teams werden individuell so im Raum bewegt, dass ihre Nähe-Distanz-Beziehungen wie auch ihre interaktive Dynamik und gegenseitige Zu- oder Abwendung sichtbar werden. Zunächst wird auf diese Weise, ähnlich wie bei der Familienaufstellung, die aktuelle Situation offenkundig. Dies dient keinesfalls dazu, in der Betrachtung der akuten Problematik zu verharren. Vielmehr soll über diesen Weg die Qualität der angestrebten Veränderungen, Entwicklungen und Lösungen spürbar werden. Dabei ist der Lösungsfokus zu präzisieren: Das kann die Qualität der Teamkooperation selbst sein, die Zusammenarbeit bezüglich einer Aufgabe oder die Neuorientierung für innovative Herausforderungen. Als hilfreich erweist sich dieses Vorgehen zum Beispiel, wenn sich Start-ups mit ihren neuen Ideen im Umfeld eines etablierten Unternehmens mit vielfältigem standardisierten Prozedere behaupten müssen.
Unterschiede sehen lernen
Dabei liefert der Grad der Veränderung zwischen einer aktuellen Situation und einer optimierten, künftigen Lösungsoption die zentrale Aussage über Entwicklungsbedarfe wie auch Potenziale der angesprochenen Teams. Je größer diese Unterschiede ausfallen, umso deutlicher werden die interpretationswürdige Dynamik und die Bewegungen von einem Zustand zum anderen im Vergleich der sozialen Skulpturen abzubilden sein. Dieser Schritt ist entscheidend, damit vereinbarte Lösungen Bestand haben und von den Beteiligten als zufriedenstellend erlebt werden. Denn Lösungen sind nicht automatisch „gut“, nur weil sie so benannt werden. Oft sind sie nur für einzelne Beteiligte annehmbar, während sie für andere Mitarbeiter mehr Ärger und Belastung heraufbeschwören. Das würde in einer Lösungsskulptur sofort sichtbar werden und nicht annehmbar sein. Denn dann werden Lösungen – systemisch gesprochen – schnell zum Teil eines Problems, das wiederkehrende Konflikte nach sich zieht. Dem gilt es vorzubeugen.
Emotional und experimentell
Die Arbeit mit sozialen Skulpturen erlaubt es, in kurzer Zeit verschiedene Optionen zu erproben und abzuändern, bis die aus Sicht der Beteiligten beste, sprich nachhaltige Lösung aufscheint. Diese Form des experimentellen Lernens bietet etliche Vorteile: Es provoziert Schwung in der Zusammenarbeit, fördert die perspektivische Vielfalt und bildet eine Plattform, um eingefahrene Kommunikations- wie Kooperationsmuster spielerisch zu hinterfragen. Der Wert dieser Herangehensweise liegt in der emotionalen Plastizität. Das heißt, es werden keine statischen, problemfixierten oder wahrnehmungsbeschränkten Emotionen hervorgerufen, wie man sie etwa bei Konflikten beobachten kann, sondern sie entwickeln sich mit der Neuorganisation der sozialen Skulpturen weiter und erfahren (wieder) eine gewisse Weite.
Systemisch selbstverstärkend
Psychologisch betrachtet fließen hier zwei Wirkströme zusammen: Zum einen stimuliert die Arbeit mit sozialen Skulpturen intensiv den Perspektivenwechsel – ein wesentlicher Grund, warum Aufstellungsverfahren sich in fast allen systemischen Disziplinen wiederfinden, sei es in der systemischen Therapie, Beratung oder Supervision, und insbesondere im systemischen Coaching.
Zum anderen hinterlässt die Erfahrung, sich aus einer kompliziert-vertrackten Situation zügig befreien und sogar mehrere Lösungsalternativen erarbeiten zu können, selbst ein starkes Erleben. Das erinnert an Thorndikes Beobachtung „Nothing succeeds like success“ (Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg). Dieser selbstverstärkende Effekt ist nicht zu unterschätzen, denn über die Lösung für ein konkretes Problem hinaus führt er zum Meta-Lernen. Das heißt, er vermittelt den Beteiligten das Gefühl – und die erlebte Gewissheit –, in diese ihre Lösungsfähigkeiten grundsätzlich vertrauen zu können. Das verändert und qualifiziert als neuer Erfahrungshintergrund oftmals die Zusammenarbeit im Team.
Mikro-Aufstellungen
Hannahs Mann – nennen wir ihn Felix – kennt aus der Firma die Arbeit mit sozialen Skulpturen dergestalt, dass die Personen der betroffenen Teams unter Anleitung eines Moderators sich selbst im Raum platzieren und von unterschiedlichen Positionen aus ihre Wahrnehmung reflektieren. In der Mediation mit seiner Frau und den Großeltern lernt er eine für ihn interessante Variation dieses Vorgehens kennen: Während soziale Skulpturen mit echten Personen aufzustellen ein dominantes Instrumentarium bedeutet, das Zeit für Dramaturgie und Durchführung braucht, streut der Familienmediator solche Aufstellungen nahezu beiläufig ins Gespräch mit ein. Dafür benutzt er manchmal Gegenstände, die ohnehin auf dem Tisch stehen, wie etwa leere Trinkgläser. Diese platziert er zwischendurch auf dem Tisch und gruppiert sie um. Diese Mikro-Aufstellungen verdeutlichen und visualisieren die Aussagen im Gespräch, ohne dafür extra Aufwand erbringen zu müssen. Lösungsideen, die von Felix, seiner Frau oder den Großeltern kommen, etwa mit den Kindern auch mal ins Kino oder öfter mit ihren Freunden auf den Spielplatz zu gehen, schreibt der Mediator auf kleine Merkzettel, rollt sie zusammen und steckt sie in die zugehörigen Gläser. So gehen diese Ideen nicht verloren, ohne dass dadurch der Gesprächsfluss unterbrochen wird.
Abb. 1: Tisch-Aufstellung (© ISTOB Management GmbH).
Fingerübung für Feedback-Gespräche
Felix erlebt dieses Einflechten von Aufstellungselementen in das Gespräch als recht smart und attraktiv. Er überlegt sich, wie er solche Mikro-Skulpturen nutzen kann, um auf diese Weise Feedback-Gespräche oder Zielvereinbarungen im Team künftig zu unterstützen und lebendig mitzugestalten. Vor allem die Fingerübungen, die er vom Familienmediator kennenlernt, um bei der Klärung von Themen und Interessen deren Vorder- und Hintergrundbeziehungen sichtbar zu machen, scheinen ihm zur Unterstützung mitarbeiterbezogener Gespräche gut übertragbar. So sammelt der Mediator die Themen und fasst sie mithilfe der Finger einer Hand nochmals zusammen, um dann im nächsten Moment die andere Hand davorzuschieben und nun nach den eigentlichen Interessen zu fragen, die sich damit verbinden. Symbolisch stehen die Themen nun im Hintergrund, wobei das Wechselspiel der Hände die Verknüpfung von Themen und Interessen veranschaulicht.
Flashbacks vorbeugen
Mikro-Aufstellungen ermöglichen es den Beteiligten – wie hier den familiären Konfliktparteien –, auf unkomplizierte Art zu Beobachtern zu werden. Mit anderen Worten wird schon bald über den Konflikt gesprochen, statt im Konflikt zu verharren. Diese emotionale Distanz beugt Flashbacks vor, die „zünden“, wenn Konfliktparteien wechselseitig bestimmte Reaktionen triggern und sich dann von einem Moment auf den nächsten mitten im alten Streit wiederfinden. Eine entemotionalisierte Betrachtungsweise stellt ein wertvolles Momentum dar, um aus der Problemverhaftung wieder in die Lösungsfokussierung zu kommen.
Dieser Effekt ist auch für reale Teamaufstellungen hilfreich, wenn innerhalb oder zwischen Teams starke Spannungen erkennbar sind. Soziale Skulpturen mit den real beteiligten Personen laufen dann Gefahr, erhebliche persönliche Belastungen auszulösen. Damit zu arbeiten gehört in therapeutische Settings, im Kontext der Teamentwicklung oder im Business-Coaching wird dies oftmals als übergriffig empfunden. Stattdessen hilft es, mit sogenannten Repräsentanten zu arbeiten. Das können andere Personen oder große stellvertretende Figuren sein.
Abb. 2: Repräsentanten (© ISTOB Management GmbH).
Diese Verfahren führen zu vergleichbar guten Ergebnissen, auch mit authentischen emotionalen Wahrnehmungen. Die eigentlichen Teammitglieder bleiben jedoch Beobachter. So können sie die von ihnen geführte Lösungsdynamik engagiert, gleichwohl gelassener reflektieren. Dieser „innere“ Abstand erlaubt es, auch bei konflikthaften Teambeziehungen die nötige emotionale Plastizität und Souveränität zu entfalten.
Literatur
Gerrig, Richard J./Zimbardo, Philip G. (2014): Psychologie. München: Pearson Deutschland – Pearson Studium, ePDF.
ISTOB Management Akademie (2015): Micro-Aufstellungen im Systemischen Coaching. AP. München.
Schwendner, Raimund (2002): High Value Management. Spitzenerfolge durch innovatives Lernen, Coachen, Führen. Wiesbaden: Gabler.
Dr. Raimund Schwendner
ISTOB Management Akademie, Systemisches Coaching. Senior Advisor für Nachhaltige Innovationsstrategien der EU I UN I Weltbank. Executive Coach (www.istob-aka.de).
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