| Wirtschaft

Schwierige Gespräche bewältigen – mit flexibler Dialogführung

Fachartikel aus 'Die Mediation' von Berater und Coach Sebastian Pflügler

Die Umstellung auf agile Unternehmensprozesse ist häufig mit Spannungen verbunden. Da hilft nur eines: Kommunikation! Doch wie bewältigen wir schwierige Gespräche, wenn es immer weniger klassische Strukturen gibt und mehr Selbstverantwortung erwartet wird? Kommunikationsexperte Sebastian Pflügler empfiehlt dafür die WIESE-Methode.

Sebastian Pflügler

 

Keine Frage: Um der Digitalisierung zu begegnen, benötigen wir neue Organisationsformen. Es bedarf allerdings auch entsprechender zwischenmenschlicher Fähigkeiten der Mitarbeiter, damit die neuen Prinzipien nicht vom Segen zum Fluch werden. Denn mit unserer Arbeitswelt wandeln sich auch die Anforderungen an unsere tägliche Kommunikation und Konfliktbewältigung. Das kann gerade in einem beruflichen Umfeld problematisch sein, in dem zunehmend auf Top-down-Hierarchien verzichtet wird. Denn hier fällt die Führungskraft als Steuerungselement weg. Stattdessen wird mehr auf die Selbstverantwortung des Einzelnen gesetzt. Doch an den dafür benötigten Gesprächskompetenzen hapert es häufig.

Spannungen durch unterschiedliche Arbeitsweisen

Viele Unternehmen arbeiten zunehmend mit zwei Systemen, Ambidextrie ist das Stichwort. Während zum Beispiel das Controlling versucht, das Unternehmen mit operativer Exzellenz und maximaler Fehlerfreiheit zu führen, tüftelt der agile Campus mit nahezu unbegrenzter Fehlerfreundlichkeit an neuen, kreativen Produkten.

Zwei Welten prallen aufeinander – und nicht selten „knallt“ es dann zwischen den Abteilungen. Wenn es unter der Oberfläche brodelt, ist es nicht hilfreich, verschiedenste Meetingformate durchzuführen, in denen Konflikte angesprochen werden können. Denn aus Mangel an entsprechender Kompetenz trauen sich viele Mitarbeiter nicht, Probleme anzusprechen und falls doch, so tun es in einer Art und Weise, dass daraus kein konstruktives Potenzial entsteht. Für den Erfolg eines Unternehmens ist es jedoch entscheidend, dass auf beiden Seiten Verständnis für die andersartige Arbeitsweise vorhanden ist.

Möglich wird dies durch einen transparenten Dialog zwischen den Abteilungen und durch die Fähigkeit jedes einzelnen Mitarbeiters, Spannungen offen ansprechen zu können. Dabei lässt sich sehr gut mit der WIESE®-Methode arbeiten, die auf dem flexiblen Wechsel zwischen verschiedenen Dialogarten basiert. Denn Kommunikation ist nie dogmatisch. Sie ist vielmehr so wendungsreich, dass es einen anpassungsfähigen Weg statt starrer Strukturen braucht.

Ein Beispiel: Eine Führungskraft soll ein Feedbackgespräch mit einem Mitarbeiter führen. Er bereitet sich vor, das Gespräch läuft sehr gut. Dieselbe Vorgehensweise nutzt er beim nächsten Mitarbeiter – doch das Gespräch verläuft eher mittelmäßig. Der ausbleibende Erfolg liegt am Versuch des Chefs, eine lineare Strategie für alle Mitarbeiter anzuwenden. Kommunikation ist multidirektional und kann zu jeder Zeit in jede Richtung laufen. Dabei können fünf verschiedene Dialogformen auftreten, die durch das Akronym WIESE beschrieben werden: Wertschätzungs-, Informations-, Emotions-, Standpunkt- und Entscheidungsdialog.

Wir sollten uns daher im Verlauf von Gesprächen immer wieder die Frage stellen: Was will ich nun tun? Welcher Dialog hilft mir jetzt weiter? Möchten wir etwas authentisch wertschätzen? Fehlen uns Informationen, die wir erfragen möchten? Wollen wir unsere Emotion in die Kommunikation einbringen, da das für uns oder den Gesprächsverlauf wichtig ist? Möchten wir unseren Standpunkt zu einer Sache oder einem Verhalten darstellen? Oder möchten wir eine Entscheidung treffen? Je nachdem, was wir vorhaben, können wir immer den Dialog anwenden, den wir in diesem Moment für stimmig erachten. Im Folgenden werden die einzelnen Dialogarten kurz dargestellt.

Die einzelnen Elemente des Dialogs

Wertschätzung

Wie der Name schon sagt, hat die Wertschätzung einen besonderen Wert und birgt einen Schatz für das Gegenüber. Was aber macht aus einem schlichten Lob, das meist wenig Wirkung zeigt, echte Wertschätzung? Der Unterschied entsteht durch die persönliche Begründung, warum einem das Verhalten oder die Handlung des Gegenübers etwas bedeutet. Nur wenn wir erklären, warum es ein tolles Projekt war oder wieso die Mitarbeiter stolz auf sich sein können, erzeugen wir einen emotionalen Effekt. Wichtig ist zu zeigen, was die Leistung der Person in uns selbst ausgelöst hat. Nur wenn es ein Ich in der Wertschätzung gibt, kommt es beim Du an.

Wertschätzung hat außerdem etwas mit Zeit zu tun. Und zwar mit der Zeit, die man sich nimmt, um sich mit der Handlung des Gesprächspartners in Beziehung zu setzen – und ihm das auch mitzuteilen. Viele Führungskräfte loben heute aufgrund von Zeitmangel vermehrt per E-Mail. Ein kurzes „Gut gemacht“ soll reichen, um die Mitarbeitermotivation dauerhaft oben zu halten. Diese Art der Anerkennung zeigt letztlich aber nur: „Ich wollte mir keine Zeit nehmen, mir wirklich Gedanken zu machen, wieso ich das gut finde, und dir das zu sagen.“ Wir benötigen in der heutigen Arbeitswelt viel weniger hohle Lobphrasen als wirklich authentische Wertschätzung.

Informationen

Wenn wir etwas nicht verstanden haben, weil uns Informationen fehlen, ist es Zeit für einen Informationsdialog. Mit dem POKU-Questioning gibt es dafür ein hilfreiches Tool, um die richtigen Themenbereiche für Fragen zu identifizieren:

Problem: Wie sieht der Gesprächspartner das Problem? Welche Fakten führt er ins Feld? Welche Widerstände und Herausforderungen sieht er? Erst wenn das Problem verstanden ist, können wir etwas zur Lösung beitragen.

Optionen: Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es? Welche davon hat der Gesprächspartner bereits ausprobiert und welchen Effekt hatte das?

Konsequenz: Welche Chancen und Risiken weisen die einzelnen Lösungen auf? Welche Vorgehensweise findet der Gesprächspartner am sinnvollsten? Wie lassen sich der Mehrwert sicherstellen und die Risiken minimieren?

Umsetzung: Wie sähe die konkrete Umsetzung aus? Wie praxistauglich ist der Vorschlag beziehungsweise was braucht es, um ihn praxistauglich zu gestalten?

Neben den Themen ist aber auch die Art der Fragen entscheidend. Hier kann das Question-Funneling helfen. Mit diesem Fragetrichter lassen sich Fragen so stellen, dass wir anfangs möglichst viele Informationen bekommen und diese dann wie durch einen Trichter immer weiter filtern können, um sicherzugehen, die richtigen Informationen erhalten zu haben. Gestartet wird mit offenen Fragen, die nicht einfach mit Ja oder Nein beantwortet werden können.

Stellen wir uns vor, wir sollen das Ausstandsgeschenk für einen Kollegen besorgen. Wir fragen also offen in die Runde: „Was wäre denn ein gutes Geschenk für Martins Ausstand?“

„Es sollte etwas Besonderes sein, immerhin war er 20 Jahre bei uns“, antwortet ein Kollege. Nun begehen die meisten Menschen den Fehler und schlagen direkt eine Idee vor. Wir wissen aber eigentlich noch gar nicht, was die Kollegen unter etwas Besonderem verstehen, und schließlich soll das Team ja hinter dem Geschenk stehen. Es wird also Zeit für Konkretisierungsfragen: „Was versteht Ihr denn unter etwas Besonderem?“

Die Antwort: „Er geht gerne Wandern, wie wäre es mit einem exklusiven Wochenende auf einer Hütte für ihn und seine Familie?“

Nun wissen wir, was die Kollegen sich vorstellen und haben nicht die eigenen Annahmen in die Worte der Kollegen gelegt. Als nächsten Schritt können wir eine Erweiterungsfrage stellen: „Gibt es noch weitere Ideen?“

Schließlich enden wir im Question-Funneling mit geschlossenen Fragen. Durch diese lässt sich sicherstellen, dass wir alles richtig verstanden haben: „Dann machen wir es folgendermaßen: Jeder gibt 50 Euro und es wird das besondere Hüttenwochenende. Richtig?“

Mit dieser Technik bekommen wir immer die Informationen, die wir für ein gelungenes Gespräch brauchen.

Emotionen

Viele Menschen glauben, sie müssten berufliche Gespräche sachlich und ohne Emotionen führen. Abgesehen davon, dass das gar nicht möglich ist, bereichert es Gespräche oft ungemein, wenn Emotionen offen ausgesprochen werden. Wie drücken wir diese also konstruktiv aus?

Hier hilft die Argumentationskette REBB: Realität – Erwartung – Bedeutung – Bedarf. Sie beruht auf der Tatsache, dass kein Mensch die Realität objektiv erfassen kann. Wir können jedoch Beobachtungen zu einer Situation machen und versuchen, diese so objektiv wie möglich zu beschreiben – etwa das Verhalten oder Handeln einer Person oder geäußerte Meinungen. Und das ganz ohne Bewertung! Denn wertende und unterstellende Realitätsbeschreibungen führen immer zu Widerstand beim Gegenüber.

Wenn wir etwa sagen „Du hast mich übergangen“, dann ist das keine objektive Beobachtung, sondern eine Unterstellung. Die neutrale Variante dazu wäre: „In deiner E-Mail hast du geschrieben, dass du gerne die komplette Organisation der Messe übernommen hast. Ich habe mich die letzten beiden Wochen um das gesamte Design unseres Messestandes gekümmert, mein Name fand sich allerdings nicht in der E-Mail.“ Statt zu sagen: „Du hast meinen Namen nicht erwähnt“, bleiben wir so bei dem Fakt: „Mein Name fand sich nicht in der E-Mail.“

Im nächsten Schritt geht es um die Erwartung, die wir hatten. Denn Emotion ist immer Erwartung minus Realität und sollte auch klar benannt werden. In diesem Beispiel: „Ich hätte erwartet, dass ich ebenfalls erwähnt werde.“ So kann die andere Person die emotionale Bedeutung nachvollziehen. Vorausgesetzt, es gelingt uns, das eigene emotionale Empfinden auszudrücken. Etwa durch Formulierungen wie „Das hat mich geschmerzt“ oder „Es nagt an mir“.

Wichtig ist, dass dabei ein Gefühl beim Gegenüber ankommt. Dazu muss sich auch in der eigenen Körpersprache und Stimme etwas bewegen. Es ist kein Problem, wenn die Stimme stockt oder die Hände zittern, während wir von etwas berichten, das uns bewegt. Ganz im Gegenteil: Erzählen wir einen emotionalen Inhalt mit monotoner Stimme und Pokerface, wird das zum Kommunikationsproblem. Wir neigen nämlich dazu, immer das sichtbare Äußere als wahrhaftiger anzusehen, und fühlen uns im schlimmsten Fall durch unser Gegenüber manipuliert. Also lieber authentisch emotional sein als gespielt professionell.

Schließlich können wir noch unseren Bedarf benennen, was wir uns für das nächste Mal wünschen oder sogar fordern. Auch hier heißt es: authentisch sein. Wenn wir uns etwas wünschen, dann kann das Gegenüber auch ablehnen, und wir sollten das akzeptieren. Wenn wir hingegen eine Forderung stellen, sollten wir die Konsequenzen bei Nichterfüllung aufzeigen. Was nicht geht: einen Wunsch zu formulieren und insgeheim eine Forderung zu meinen. Das ist rhetorische Doppelbödigkeit und zerstört Vertrauen.

Standpunkt

Wie gehen wir nun vor, wenn wir einen Standpunkt überzeugend vertreten wollen, entweder zu einem bestimmten Sachverhalt oder zu einem bestimmten Verhalten. Beides kann sinnvoll sein, sollte aber strukturiert und ausgewogen geschehen. Dazu einige Hilfestellungen:

  • Ein gutes Argument hat eine echte Begründung, die sich auf eine persönliche Geschichte, Zahlen, Daten und Fakten oder ein moralisches Argument stützt. Gerade wenn wir schriftlich kommunizieren, sollten die Argumente wasserdicht sein, da der Empfänger sie immer wieder prüfen und reflektieren kann.

  • Wenn wir ein Verhalten rückmelden, können wir zunächst erklären, was wir genau gesehen, gehört oder wahrgenommen haben, welche Bewertung oder Konsequenz es in uns ausgelöst hat und was wir in diesem Zusammenhang fordern oder wünschen. Dabei gilt es unbedingt die Trennung von Beobachtung und Bewertung zu beherzigen.
  • Bei einer Entschuldigung sollten wir diese konkret benennen. Wir schildern zunächst, was aus unserer Sicht passiert ist, und erklären uns vollends für verantwortlich.

Entscheidungen

In jedem schwierigen Gespräch kommen Momente vor, in denen Entscheidungen getroffen werden müssen. Hierfür sollte der Kommunikation eine angemessene Reflexion vorausgehen. Die Fragen, die wir uns stellen sollten, um eine Entscheidung bestmöglich treffen zu können, sind: Will ich? Kann ich? Darf ich? Manchmal braucht es auch Bedenkzeit, wenn wir uns nicht sicher sind oder noch Informationen fehlen. Es ist einfacher, um Bedenkzeit zu bitten, als nach einer Entscheidung kleinlaut noch einmal das Gespräch zu suchen und die eigene Entscheidung zu revidieren. Wenn der Gesprächspartner keine Bedenkzeit einräumen will, dann lautet die Antwort immer „Nein“.

Wer generell Schwierigkeiten hat, in Gesprächen Entscheidungen zu treffen, sollte einmal über folgende Fragen nachdenken:

  • Was ist mir beruflich oder privat wichtig?
  • Was tut mir gut und was nicht?
  • Worauf möchte ich in Zukunft verzichten und wovon möchte ich mehr haben?
  • Was sind derzeit meine Prioritäten und was nicht?
  • Unter welchen Umständen kann ich jemandem einen Gefallen tun und unter welchen nicht?

Mit den Antworten auf diese Fragen im Hinterkopf wird es künftig leichter fallen, in Gesprächssituationen Entscheidungen zu treffen.

 

 

Sebastian Pflügler ist Berater, Coach und Speaker. Der Kommunikationswissenschaftler (M. A.) und Wirtschaftspsychologe
(M. A.) unterstützt Profit- und Non-Profit-Organisationen bei der Anpassung an die Anforderungen der neuen Arbeitswelt. Er ist Dozent an der LMU München und hat weitere Lehraufträge (Hochschule Fresenius, Universität Passau, Munich Business School). Weitere Informationen: www.sebastian-pfluegler.com.

Weiterführende Literatur

Sebastian Pflügler (2020): Kommunikation für die digitale Ära: Wie wir heute miteinander reden – und was dabei immer noch wichtig ist. Redline.

 

 

 

Dieser Artikel ist im Fachmagazin "Die Mediation", Ausgabe Q3-2021 erschienen.

 

Zurück

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte rechnen Sie 5 plus 5.