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Die Zeitdimensionen der Mediation – Dr. Bernd M. Wittschier für "Die Mediation"

In jeder Mediation wirken mehrere Zeitdimensionen mit, die vom Mediator berücksichtigt werden müssen. So kann Zeit ein Teil sowohl des Konflikts als auch der Lösung sein. Die erfolgreiche Durchführung des Mediationsprozesses setzt Projekt- und Zeitmanagementkenntnisse aufseiten des Mediators voraus. Gelingt der Konsens am runden Mediationstisch, wandelt sich die in den Vermittlungsprozess investierte Zeit in Zeitgewinn für die Beteiligten und das Unternehmen um: Die Teilnehmer konzentrieren sich wieder auf das Wesentliche, weil Konfliktenergie als Leistungsenergie zur Verfügung steht.

Der Mediationsprozess beansprucht Zeit, er ist unterteilt in mehrere Mediationssitzungen und zeitliche Abschnitte. Darum gehört Zeitmanagement zum Handwerkszeug des Mediators. Und Mediation braucht Zeit, um ihre produktive Wirkung auch entfalten zu können. Insbesondere bei der Wirtschaftsmediation versprechen sich die Auftraggeber von dem Verfahren zudem einen Zeitgewinn: Eine Konfliktentschärfung etwa soll dazu beitragen, dass sich die Mitarbeiter endlich wieder auf die Aufgabenerledigung fokussieren können. Die Beachtung all dieser Zeitdimensionen wird vom Mediator verlangt – und dann gibt es da noch jene Eigenzeit der Mediation, die zur Entstehung eines besonderen Mediationsrhythmus führt. Im Folgenden sollen diese verschiedenen Dimensionen der Zeit beleuchtet werden.

Zeit als Konfliktzünder

Zwei Mitarbeiter tragen einen Beziehungskonflikt aus, weil der eine ständig zu spät kommt – er hat seine Zeit nicht im Griff. Oder: Ein Machtkonflikt droht zu eskalieren, weil der Vorgesetzte seine hierarchische Position ausnutzt, um Mitarbeiter zu disziplinieren, indem er seine Meetings bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag ausdehnt und so Kollegen und Mitarbeiter unter Zeitdruck setzt. Hinzu kommt: Zeit ist in Firmen und am Arbeitsplatz eine knappe Ressource, um die häufig so intensiv gekämpft wird, dass Auseinandersetzungen die Folge sind. Wenn ein Kundenprojekt drängt und alle Beteiligten in Hektik verfallen, verstärkt dies bereits bestehende Konflikte immens.

Die Beispiele zeigen: Der Faktor Zeit beeinflusst die meisten Konflikte, die durch Mediation einer Lösung zugeführt werden sollen. Ein Mediator sollte daher die Zeit als oft schwer identifizierbare, weil nicht immer sofort erkennbare Konfliktursache analysieren können. In Firmen gibt es häufig ein Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichem Beschleunigungsdruck – Dinge müssen in bestimmten Zeitintervallen und unter Termindruck erledigt werden – und individuellem menschlichem Umgang mit der Zeit. Der eine Kollege arbeitet gern unter Zeitdruck, der andere mag dies gar nicht, er benötigt ein entspanntes Verhältnis zur Zeit und will sein Aufgabe überpünktlich erledigen. Dieses Spannungsfeld von Termindruck, Zeitentspannung und Zeitknappheit muss der Mediator einschätzen und auflösen können.

Mediation braucht Zeit

Es gibt ein zweites ambivalentes Spannungsfeld: Zum einen braucht eine Mediation Entfaltungszeit. Findet sie unter Zeitdruck statt, wirkt dies eher kontraproduktiv. Der Mediator muss diese Problematik den Konfliktbeteiligten und dem Auftraggeber verdeutlichen. Zum anderen steht für eine Mediation nicht unbegrenzt Zeit zur Verfügung: Die Teilnehmer können nicht endlos von ihren Aufgaben im Unternehmen freigestellt werden; zudem verfolgt der Auftraggeber mit der Mediation das dezidierte Ziel, den energieraubenden Konflikt zeitnah zu lösen.

Der Mediator muss hier einen Ausgleich finden: Er sollte bei der Klärung der Bedingungen, unter denen die Mediation stattfindet, eine möglichst realistische zeitliche Einschätzung abgeben. Das betrifft die Anzahl und den Umfang der Mediationsphasen und -sitzungen und überdies die Gesamtzeit, die es zu veranschlagen gilt. In der unternehmerischen Praxis der Wirtschaftsmediation zeigt sich: Problematisch ist es nicht, wenn eine Mediation ein Jahr dauert, sondern nur, wenn der Mediator eine Laufzeit von – zum Beispiel – sechs Monaten angibt, dies aber bei Weitem nicht einhalten kann.

Mediation erfordert Zeitmanagement

Wenn ein Mediator über Projektmanagementerfahrung verfügt, die Netzplantechnik beherrscht und mit Zeitmanagementmethoden das groß angelegte Projekt „Mediation“ in ein Zeitraster einbetten kann, entsteht aufseiten des Auftraggebers ein Gefühl der Sicherheit. Entscheidend ist, dass der Mediator die einzelnen Phasen – von der Vorstellungsrunde und der Konfliktanalyse über die Konfliktlösungssitzungen am runden Tisch bis hin zu Konsensbildung, Vertragsabschluss und Nachsorgeterminen – anschaulich erläutert und ihre Bedeutung im Rahmen der Gesamtmediation erklärt. Dann kann er die einzelnen Aufwandseinschätzungen begründen und aufgrund seiner Erfahrungen bereits bei der Auftragsklärung mögliche zeitliche Verzögerungsursachen diskutieren. Er geht mithin proaktiv vor und bespricht mit dem Auftraggeber, welche Verzögerungen an welcher Stelle des Prozesses möglicherweise eintreten könnten, und entwickelt mit ihm vorab Reaktionsoptionen.

Eine Alternative ist, mit dem Auftraggeber – ebenfalls vorab – zu diskutieren, ob es sich um eine Kurzzeitmediation mit klar umrissenen Zeithorizonten oder eine Langzeitmediation handeln soll. Stets gilt: Es muss ein Ausgleich gefunden werden zwischen dem Anspruch des Auftraggebers an (zeitliche) Planungssicherheit und zeitnahe Konfliktlösung sowie der Eigendynamik, die jede Mediation im Laufe des Prozesses entfaltet.

Mediation verschafft Zeit

Ein Mediator muss ein weiteres, drittes Spannungsfeld beachten: Wir haben gesehen, Zeit ist im Mediationsprozess zuweilen ein limitierender Faktor. Gelingt es jedoch, das Mediationsziel zu erreichen, und kommt es zur Konfliktlösung, ist ein Zeitgewinn für die Beteiligten möglich. Wer Konflikte konsensorientiert löst, verschafft den Teilnehmern und dem Unternehmen Zeit fürs Wesentliche. Energie, die bisher kraftraubend für die Konfliktlösung verschwendet wurde, steht nun als Leistungsenergie zur Verfügung. Menschen, die ihre Dynamik sonst für die unproduktive Bewältigung von Konflikten eingesetzt haben, aktivieren ihre Potenziale wieder dafür, Leistung zu erbringen. In einem emphatischen Sinn kann man sogar von der Entstehung einer Glückszeit sprechen, weil der Einsatz von Zeit für den Mediationsprozess zu einem Zeitgewinn führt.

Pointiert ausgedrückt: Unternehmen und Mediationsteilnehmer investieren Zeit, um Zeit zu gewinnen! Vor allem wenn die Mediation doch mehr Zeit frisst als geplant und der Auftraggeber auf die Einhaltung des Zeitplanes pocht, sollte der Mediator diesen Nutzen der Mediation verdeutlichen.

Durch Mediationszeit zum aufleuchtenden Wir

Mediation ist immer auch Selbstreflexion der Beteiligten, also eine Form der inneren Mediation. Wer im Mediationsprozess steht, muss sich zuallererst mit sich selbst auseinandersetzen, eigene Widersprüche erkennen, Glaubenssätze überprüfen und sich mit seinem „inneren Team“ beschäftigen. All dies lässt sich nicht immer zeitlich exakt planen und in ein Zeitkorsett schnüren – darum sollte der Mediator die Vorteile artikulieren, die entstehen, wenn sich infolge der Mediation zwischen zerstrittenen Konfliktparteien Gegnerschaft auflöst und wieder so etwas wie ein partnerschaftliches und gemeinsames Wir aufleuchtet.

Mediation ist Zeit – die Eigenzeit der Mediation

Zur Lösung von Konflikten mithilfe einer Mediation ist ein rationales und intuitiv-kreatives Vorgehen notwendig. Konflikte sind nie allein auf der verstandesmäßigen Ebene lösbar – darum sind im Mediationsprozess Gefühle Tatsachen. Dabei etabliert sich oft ein eigener Rhythmus: Indem sich Menschen ihrem Gegenüber öffnen, wieder ins Gespräch kommen und Regeln für eine partnerschaftlich orientierte Kommunikation aufstellen, entwickelt sich mit der Eigenzeit der Mediation eine Zeitdimension, die sich nicht in Zahlen ausdrücken lässt. Für den Mediator ist die Kenntnis dieser Dynamik noch wichtiger als die Beherrschung der Zeitmanagementtechniken.

Nach einer Mediation haben die Beteiligten ihr eigenes Tempo für Konsensumsetzung, Kommunikationsabläufe, Entscheidungsfindung und Kooperation gefunden – unter den realen Bedingungen eines Unternehmens, das der Erreichung unternehmerischer Ziele verpflichtet ist. Die in den Vermittlungsprozess investierte Zeit wird so rasch aufgeholt und in einen Zeitgewinn transformiert.

 

Literatur

Wittschier, Bernd M. (2002): 30 Minuten für erfolgreiche Mediation im Unternehmen. Offenbach: GABAL.

Wittschier, Bernd M. (2000): Konfliktzünder Zeit. Wirtschaftsmediation in der Praxis. Wiesbaden: Gabler.

 

 

 

 

 

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